2.12.09

Bericht aus Isengard: Nichts geht mehr

Ich mag Dresden - die Stadt, weniger ihre Repräsentanten im Rathaus. Ich habe wahrscheinlich, obwohl strenggenommen auch nur Zugereister (aber immerhin Sachse) etwas von jenen Dresdnern, die Thomas Brussig hier ebenso treffend wie pointiert beschreibt. Sie wollen einerseits ihre Stadt nicht in die Pfanne hauen, andererseits sorgt das Treiben im Rat(los)haus immer öfter für - formulieren wir es vorsichtig - Verstimmung. Zitat aus der oben verlinkten "Mentalitätsstudie":

"Doch im Moment scheint die Truppe, mit der die Oberbürgermeisterin regiert, nach Willfährigkeitsaspekten zusammengestellt zu sein. Schon intellektuell sind die einer Stadt wie Dresden unwürdig. Irgendwann wird sich das rächen. (Der Stadthistoriker Matz Griebel, mit dem ich mich später treffe, wird sagen: Wir haben unter einem sehr merkwürdigen Stadtregiment zu leiden.)"

Ich lasse das mal ohne weiteren Kommentar so stehen...

Nun komme ich ja auch manchmal aus dem Auenland in die große Stadt, und was sich mir da seit gestern bietet, ist nach langer Zeit mal wieder einen Bericht aus Isengard wert.

Bekanntlich baut die Stadt nun schon seit einiger Zeit die berühmt-berüchtigte Waldschlösschenbrücke, die sie den Weltkulturerbestatus und - auch wenn viele es nicht gern hören - einiges Ansehen bundes- und weltweit gekostet hat. Die Befürworter dieser Brücke haben viel Energie und Lobbyarbeit investiert - vom Geld ganz zu schweigen. Energie und Geld - beides wäre an anderer Stelle wahrscheinlich besser angelegt gewesen.

Während die Waldschlösschenbrücke wächst,

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Zufahrtstunnel
(Zufahrtstunnel auf Neustädter Elbseite)

zerfällt die historische, unter Denkmalschutz stehende Albertbrücke quasi vor den Augen der Dresdner.

Ich habe zwar keinen Einblick in die genauen Abläufe und die bürokratischen Hindernisse, die es zu überwinden gilt, aber niemand kann mir erzählen, man habe den desolaten Zustand, in dem sich die Brücke heute befindet, nicht schon seit vielen Jahren absehen und die Planungen danach ausrichten können. Die Sanierung hat aber noch nichtmal angefangen. Geplant ist sie erst für 2011. Das ist es, was ich mit fehlgeleiteter Energie / ungeschicktem Einsatz von Geld meine. Auf der einen Seite klotzt man eine Brücke hin, die der Stadt und insbesondere ihres konkreten Standortes unwürdig ist und zudem weder die Albertbrücke, noch das "Blaue Wunder" ersetzen kann. Auf der anderen Seite zögert man die dringend notwendige Sanierung vorhandener Brücken hinaus.

Auslöser meiner aktuellen Aufregung sind die seit gestern laufenden Notsicherungsmaßnahmen.

Bereits vor ca. zwei Jahren wurden ein großer Bereich unterhalb der Brücke und deren Kanzeln abgesperrt, nachdem sich Sandsteinteile gelöst hatten und die Gefahr bestand, daß irgendwann mal ein Stein einen Fußgänger, Radfahrer oder Passagier der Dampfschiffe treffen könnte. Außerdem gilt seither Tempo 30.

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Seit gestern nun sind die Einschränkungen des Verkehrs durch weitere "Maßnahmen zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit", wie es auf dem Bauschild heißt, kaum noch zu ertragen.

Die viel befahrene und bisher vierspurige Brücke wird auf zwei Spuren eingeengt, Fuß- und Radwege zur Brückenmitte hin verschoben, um zu vermeiden, daß Fußgänger und Radfahrer den bröckeligen Seiten zu nahekommen.

Damit ist ein Verkehrschaos unausweichlich.

Der Stau zieht sich kilometerweit, nicht nur während des Berufsverkehrs (Bericht der Sächsischen Zeitung). Ich habe gestern für eine Strecke, die zu dieser Zeit normalerweise in 15 Minuten zu schaffen ist, eine geschlagene Dreiviertelstunde gebraucht! Hinzu kommt, daß momentan in stadteinwärtiger Richtung auch der Radweg gesperrt ist. Wie gesagt, sollen zwar auf den nun für die Autos gesperrten Fahrspuren Streifen für die Radfahrer asphaltiert werden, aber von jetzt auf gleich ist das ja auch nicht erledigt. Die 7500 Radler, die die Brücke täglich überqueren, können vorerst zwischen Pest und Cholera wählen: Riskieren sie die Fahrt auf der verbleibenden Fahrspur und setzen sich den ob des Staus genervten Autofahrern aus, oder nutzen sie nun alle den einen verbliebenen Rad- und Fußgängerweg. In beiden Fällen wird´s eng.

Achso: Die Sicherungsarbeiten kosten ca. 300.000 Euro. Geld, das man sich bei richtig gesetzten Prioritäten hätte sparen können.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das Verkehrschaos, welches durch die längst überfällige Reparatur der Albertbrücke verursacht wird, endet dann, wenn auch die Waldschlösschen-Monsterbrücke ihren Dienst beginnt. NÄMLICH im Jahre 2011. Dann werden die Brückenbefürworter sagen; "Seht, wir haben diese Brücke unbedingt gebraucht". Und viele Dummköpfe werden das auch noch glauben!

auenlaender hat gesagt…

Wäre möglich, aber ich glaube eigentlich nicht, daß die Waldschlösschenbrücke, so sie denn überhaupt pünktlich fertig wird, den Verkehr der Albertbrücke in dem Maße abfangen wird, daß sich das Chaos legt. Ich schätze mal, daß die "Zielgruppe" der Albertbrücke sich von jener der Waldschlösschenbrücke deutlich unterscheidet. Zum Beispiel biegen nach meiner, natürlich nicht durch eine Zählung fundamentierten, Beobachtung viele, die die Albertbrücke in Richtung Neustadt befahren, links ab zum Carolaplatz. Würden die die Waldschlösschenbrücke nutzen, müßten sie dann über die Bautzener Str., Albertplatz usw. fahren. Dann ist die Bautzener auch wieder verstopft. Der Stau wird sich auch in die anderen Richtungen wohl nur verlagern. Wie es aussehen wird, wenn mal beide Brücken uneingeschränkt nutzbar sind, bleibt abzuwarten. Dann ist bestimmt die Sanierung des "Blauen Wunders" nicht mehr lange aufschiebbar. Wenn sich die Waldschlösschenbrücke entgegen der Annahme der Brückenbefürworter bis dahin doch nicht als spürbare Entlastung des "Blauen Wunders" erwiesen hat (z.B. weil sie neuen Verkehr in die Stadt gezogen hat), gibt´s gleich den nächsten Verkehrsinfarkt. Naja, guggn mer ma...

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